Eine Sturzflut verwüstete das Dorf Lienz

Vor 40 Jahren trat der Lienzbach über die Ufer und richtete Schäden in Millionenhöhe an.

Der 3. Juli 1967 war ein schwarzer Tag in der Geschichte von Lienz. Ein schweres Unwetter liess den Lienzbach innert kürzester Zeit anschwellen. Er trat über die Ufer und zerstörte mehrere Häuser. Unter einer Schicht von Schlamm und Geröll wurden Strassen und Wiesen begraben. Eine betagte Frau starb an den Folgen dieser Katastrophe.

Den 3. Juli 1967 wird keiner, der diesen Tag in Lienz erlebt hat, vergessen. In den frühen Abendstunden entlud sich am Hohen Kasten ein Gewitter mit elementarer Wucht. Nur wenige Minuten vergingen und schon stürzten die Wassermassen von den steilen Hängen auf das Dorf hinunter. Rasch war das Bett des Lienz-Baches zu klein. Der Bach trat über die Ufer und richtete innert kürzester Zeit eine Katastrophe an, an deren Folgen die Lienzer noch lange zu leiden hatten.

Ein Bild des Grauens

Machtlos stand die Lienzer Bevölkerung in jenen Abendstunden den entfesselten Naturgewalten gegenüber. Dort, wo noch wenige Stunden zuvor Strassen und Wege durch das Dorf geführt hatten, waren nun reissende Wildbäche. Und der Acker unterhalb des Dorfes bildete einen riesigen See. «Zwischen Gasthaus Rössli und Bäckerei Looser nahm die Flut besonders bedrohliche Formen an und erreichte im Höhepunkt der Überschwemmung wohl eine Höhe von zwei bis drei Metern. Die schmutzigen Wassermassen, die eine ungeheure Menge von Geschiebe mit sich führten, überfluteten nicht nur sämtliche Strassen und Wiesen des Dorfes, sondern überschwemmten auch mehrere Wohnhäuser und Ställe. Bei einzelnen Häusern drang die Flut meterhoch ins Innere ein und riss alles mit sich, was nicht niet- und nagelfest war», hiess es in der damaligen Ausgabe der «Rheintalischen Volkszeitung». Besonders schlimm war es im Oberdorf. Rund um die Kapelle, um das damalige Schulhaus und um die verschiedenen Häuser waren nur noch Wasser, Geröll, Schlamm und Felsblöcke zu sehen, die mit unheimlichem Gepolter vom Wasser mitgetragen wurden.

Erschütternde Szenen

Fluchtartig mussten die Bewohner ihre Häuser verlassen, denn innerhalb weniger Minuten war die Katastrophe über sie hereingebrochen und für viele ging es darum, buchstäblich das nackte Leben zu retten. Verschiedene Leute, die in ihren Häusern bereits eingeschlossen waren, konnten in letzter Minute gerettet werden. Eine ältere Frau stand in ihrem Haus bis zum Hals im Wasser. Kurz vor dem Ertrinken konnte sie in Sicherheit gebracht werden. Der Schock, den sie aber dabei erlitten hatte, führte kurze Zeit später zum Tod. Sofort wurden die Aufräumarbeiten in Angriff genommen. Zuerst ging es einmal darum, die verschütteten Strassen und Wege vom Geröll zu befreien. Die Feuerwehr hatte tagelang alle Hände voll zu tun, um die Häuser und Ställe auszupumpen. Damit war erst ein erster Schritt getan, viele weitere Schritte mussten folgen, um die Schäden dieses Unwetters zu beseitigen.

Zeichen der Solidarität

Rasch trafen auch Spenden ein, um der geschädigten Lienzer Bevölkerung zu helfen. Eine Sammlung, zu der in den Zeitungen aufgerufen worden war, ergab einen Betrag von 180'000 Franken. Der Kanton St.Gallen sprach – neben den Beiträgen für die neuen Verbauungen – eine Unterstützung von 20'000 Franken. Die bischöfliche Kanzlei schickte 10'000 Franken. Das Geld, das durch diese Sammlungen zusammengekommen war, wurde nicht unter der Bevölkerung verteilt, sondern wurde fast ausschiesslich für die Verbauung des Baches verwendet. Dadurch wurden die Lienzer bei der Bezahlung des Perimeters entlastet. Eine Solidarität besonderer Art kam darin zum Ausdruck, dass sich junge Leute aus aller Welt, die dem «Internationalen Zivildienst» angehörten, in Lienz einfanden, um bei den Aufräumarbeiten mitzuhelfen.

Schon frühere Überschwemmungen

Ganz aus heiterem Himmel war die Überschwemmung am 3. Juli 1967 nicht gekommen. Der Gefährlichkeit des Lienzbaches war man sich seit alters her bewusst. Schon im 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen, diesen Bach zu verbauen. Es bestanden sogar Projekte um dies auszuführen. Doch die Realisierung scheiterte an den finanziellen Mitteln, denn Lienz war ein armes Dorf und an Hilfe von aussen war nicht zu denken. Ein Hochwasser bedrohte 1938 das Dorf. Aus diesem Grund nahm man einen neuen Anlauf, um die Verbauung des Baches in die Hand zu nehmen. Doch das Projekt, das Kosten in der Höhe von 270’000 Franken vorsah, war so teuer, dass man wieder die Hände davon liess.

Umfassendes Ausbauprojekt

Die Ausbaupläne verschwanden in den Schubladen und erst die Katastrophe von 1967, die Millionenschäden verursacht hatte, gab dann den Ausschlag, die Verbauung nun doch endlich zu realisieren. Die Gemeinde Altstätten beauftragte die Rheinbau-Leitung ein Projekt auszuarbeiten. Dieses Projekt, im Jahre 1968 fertiggestellt, sah Kosten von 1.9 Mio Franken vor. Sofort wurde daraufhin mit der Verwirklichung dieser Pläne begonnen. Der Bach erhielt ein Betonbett, Sperren und Kiessammler wurden gebaut. Auch neue Brücken und ein Damm zwischen dem Dorf und dem Bach mussten erstellt werden. Gleichzeitig wurde auch eine Aufforstung vorgenommen, um so in einem gefährlichen Abschnitt die Wassermengen bei starken Regengüssen möglichst lange zurückhalten zu können.

Auch wenn heute der Bach über weite Strecken in ein Betonbett gezwängt ist, heisst dies noch lange nicht, dass der Lienzbach nun völlig gezähmt ist. Denn nach wie vor bringt der Bach – vor allem nach heftigen Gewittern am Hohen Kasten – viel Wasser und grosse Gesteinsmassen mit sich.

Bericht von Meinrad Gschwend