Im Garten viel Kraft getankt

Den Anfang unserer Serie macht die älteste Lienzerin, Bertha Göldi. Sie erinnert sich noch bestens an viele Begebenheiten in ihrem 94-jährigen Leben. Bertha Göldi wohnt seit bald 70 Jahren in Lienz und ihr Garten ist wohl der meist bewunderte im ganzen Dorf.

Bertha Göldi sitzt auf der Bettkante, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, den Rollator in Griffweite. Und sie erzählt. Wie ein Wasserfall kommen die Erinnerungen an 94 Lebensjahre über ihre Lippen.

Sie beginnt von vorne – nämlich auf dem Heldsberg, oberhalb von St. Margrethen. Hier ist sie mit ihren Eltern und den zwei Schwestern Martha und Rosa aufgewachsen. Es ist eine behütete Kindheit und sie erinnert sich sichtlich gerne an diese Zeit. Bertha ist ein scheues Kind, das stets darauf bedacht ist, den Erwartungen gerecht zu werden. Sie erinnert sich: «Als ich einmal mitten auf dem Schulweg gemerkt habe, dass ich mich nicht gekämmt hatte, bin ich sofort nach Hause zurück gelaufen.» Gerade noch rechtzeitig sei sie dann mit einem Zopf im Schulzimmer angekommen. «Wir hatten einen langen Schulweg, aber ich bin niemals zu spät in die Schule gekommen», und dafür sei sie von ihrem Lehrer mehrmals gerühmt worden, erzählt sie nicht ohne Stolz.

In ihrem Elternhaus sei es stets sauber und ordentlich gewesen und auch der Garten wurde von ihrer Mutter immer gut gepflegt, erinnert sich Bertha. Ganz nach dem Vorbild ihrer Mutter hat es Bertha stets in ihrem eigenen Leben gehalten. Die liebevoll gepflegte Umgebung ihres Hauses und der üppig blühende Garten sind sichtbare Zeugen dafür. Oft haben Passanten angehalten und den Garten bewundert. Einmal wurde gar in der Zeitung von Bertha und ihrem grünen Daumen berichtet.

Soldaten gingen ein und aus

Bertha‘s Jugendjahre sind geprägt vom Kriegsgeschehen. Genau unterhalb von Berthas Elternhaus entsteht in den Jahren 1938 bis 1940 die Festung Heldsberg. Solange die Festung noch nicht fertiggestellt war, gehen die Soldaten im Haus von Berthas Familie ein und aus. Der Hauptmann schlief im Haus, die Soldaten schlugen ihr Schlaflager im Stall  auf. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, erinnert sich Bertha Göldi und Monat um Monat wurde die ganze Truppe wieder ausgewechselt und neue Männer gingen ein und aus. Das Frühturnen des gesamten Zuges führte durch das Haus. «Jo, do hömmer en schöna Salot ka uf em Heldsberg»,  erinnert sie sich mit einem leichten Schmunzeln. Nach ihrem Schulabschluss nimmt Bertha eine Haushaltsstelle an. In dieser Zeit gibt es für ein Mädchen nicht viele andere berufliche Alternativen.

Eine Woche lang geputzt

Der Lienzer Karl Göldi diente dem Land in St. Margrethen. Emma, seine Schwägerin, wollte Bertha unbedingt mit dem jungen Mann aus Lienz bekannt machen. So lernte Bertha ihren zukünftigen Mann kennen. Die tugendhafte Bertha lässt den jungen Mann aber nicht an sich heran – ausser es wird geheiratet. So geschah es dann auch. Bertha und Karl Göldi heirateten im Jahre 1944 in der Kirche Sennwald. Zuvor hatte Bertha schon eine Woche lang ihr künftiges Heim in Lienz geputzt, das in einem sehr schlechten Zustand war. Nach der Hochzeit begann für Bertha eine schwere Zeit. Ihrer Schwiegermutter konnte es die junge Frau kaum je recht machen. «Mein Mann und auch mein Schwiegervater sind zwar zu mir gestanden», aber die Schwiegermutter übte eine grosse Macht aus. Um Streit wegen ihrer Person zu vermeiden, blieb die junge Frau immer öfter in ihren vier Wänden, Besuch von ihrer Schwiegermutter bekam sie nie. Die jungen Eheleute arbeiteten im Bauernbetrieb der Schwiegereltern, die damals sieben Stück Vieh besassen.

Ab und zu ein Zwanzigernötli

Es gab viel zu tun und wenn Geld da war, wurde es in Maschinen investiert. Für den Unterhalt der Familie (Tochter Elisabeth kam 1945, Sohn Andreas 1948 und Nachzügler Walter 1960 zur Welt) gab es ab und zu ein Zwanzigernötli. So kamen in einem Jahr einmal 1800 Franken zusammen. Darüber hätte ihr Schwiegervater genau Buch geführt, erinnert sich Bertha.

Als die Schwiegermutter schwer erkrankte, war es Bertha, die sie in den letzten Jahren ihres Lebens pflegte – ein gutes Wort oder sogar ein Dank dafür blieb jedoch aus. Nein, sie habe es wirklich nicht schön gehabt mit ihrer Schwiegermutter, sagt Bertha. Und sie hätte sich damals vorgenommen, es einmal anders zu machen – und das sei ihr auch gelungen. Ihr Mann Karl stirbt am 4. September 1991.

Eigenständigkeit war für Bertha immer sehr wichtig, sie will niemandem zur Last fallen. So war sie mit 86 Jahren noch mit dem Töffli unterwegs und pflegte Haus und Garten bis vor wenigen Jahren noch selbständig. Dies obwohl sie schon seit jungen Jahren Rückenprobleme hat. Jammern ist nicht ihr Ding – Arztbesuche auch nicht. Nach dem Motto «Wo ein Wille ist auch ein Weg», hat Bertha Göldi ihr Leben durchgezogen – dieses Leben hat sie gelernt, sich durchzusetzen. Vielleicht deshalb sagt sie heute, sie würde nicht mehr heiraten, wenn sie nochmals jung wäre.

Täglich das neuste Heftli

Im letzten Dezember muss Bertha notfallmässig ins Spital gebracht werden. Sie hat Wasser auf der Lunge, ihr Leben hängt an einem seidenen Faden. Nach vier Wochen darf sie wieder nach Hause, ist aber noch sehr schwach und muss aufgepäppelt werden.

Seither wohnt sie bei Sohn Walter und Schwiegertochter Christine. Hier wird alles getan, um Bertha den Lebensabend so angenehm wie möglich zu machen. In ihrem Zimmer mit Blick auf ihr Haus kann sie sich mit dem Rollator hindernisfrei bewegen. Jeden Tag gibt‘s das neuste Klatschheftli, im Fernseher verfolgt sie leidenschaftlich Sportsendungen, sie strickt weiter Socken – und allgegenwärtig ist da die Angst, auf einmal keine Luft mehr zu kriegen.

Sie will nicht immer Geburtstag feiern – eigentlich möchte sie keinen mehr feiern. «Meine Schwestern haben es besser gemacht», sagt Bertha und schaut wehmütig auf das Foto der beiden verstorbenen Schwestern.

Text /Bilder: Heidy Frei